Glossar und Fachbegriffe

Was heißt eigentlich...?

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Fachbegriffe, die wir auf dieser Webseite immer wieder benutzen, wollen wir hier kurz erläutert. Dabei erhebt die Auflistung keinesfalls Anspruch auf Vollständigkeit. Und es handelt sich auch nicht um unverrückbare Definitionen, sondern vielmehr um mögliche Sichtweisen und Diskussionsgrundlagen für eine fachliche Auseinandersetzung.

Hier erläutern wir die verwendeten Fachbegriffe

Behinderung

Der Begriff Behinderung lässt sich aus verschiedenen Perspektiven betrachten. Im Sozialrecht (§ 2, SGB IX) ist Behinderung wie folgt definiert: „Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Sie sind von Behinderung bedroht, wenn die Beeinträchtigung zu erwarten ist.“
Behinderung kann darüber hinaus auf unterschiedliche Art und Weise kategorisiert werden. So lässt sich beispielsweise unterscheiden zwischen:
•  körperlichen, geistigen und psychischen Behinderungen
•  Lernbehinderung
•  Sinnesbehinderung
•  Sprachbehinderung usw.

Diese Begriffsbestimmungen heben jedoch immer ein Defizit hervor und unterscheiden zwischen „normal“ und „nicht normal“. Sie beinhalten somit eine – zumindest sprachliche – Ausgrenzung. Eine ressourcenorientierte Sichtweise besagt, dass aus einer Beeinträchtigung dann eine Behinderung wird, wenn die Ressourcen zur Kompensation nicht ausreichend sind. Demnach können durch gute Förderung und Kompensationsangebote die Folgen der Beeinträchtigung überwunden bzw. ihre Wirkungen hinsichtlich der Teilhabeeinschränkungen reduziert oder beseitigt werden. Behinderung lässt sich jedoch auch als Ergebnis einer Benachteiligung verstehen, sodass die Lebenslagen von Menschen und die Behinderungen durch die Umwelt ebenfalls in den Fokus der Betrachtung gezogen werden können. Hier geht es vornehmlich darum, beeinträchtigende Rahmenbedingungen und Umweltfaktoren zu erkennen, abzumildern oder zu beseitigen.

Begleitung und Betreuung

Begleitung bzw. Assistenz wird verstanden als Unterstützungsform, in der die Klientin oder der Klient die Richtung des Handelns vorgibt und auch die Verantwortung für das Handeln übernimmt bzw. übernehmen kann. Betreuung in Abgrenzung hierzu bedeutet die zumindest teilweise Verantwortungsübernahme durch die betreuende Person.

Ziel ist es, vom Betreuer zum Begleiter zu werden: Während die Menschen, die sich uns anvertrauen, Expertinnen und Experten in eigener Sache werden, sollte man als Helfender schrittweise überflüssig werden. Dabei sind jedoch die individuellen Bedarfe entscheidend (siehe auch: Empowerment).

 

Bundesteilhabegesetz (BTHG)

In mehreren Reformstufen erfolgt – seit 2017 und bis 2023 – die Inkraftsetzung des neuen Bundesteilhabegesetzes mit zahlreichen Änderungen, die alle Ebenen betreffen:

• die Klientin und den Klienten bzw. die Leistungsempfängerin und den Leistungsempfänger
• den Leistungserbringenden
• die verschiedenen Leistungsträger (von Eingliederungshilfe, Sozialhilfe, Pflegeleistungen usw.)

Ziel ist eine bessere Rechtsklarheit und Schärfung des Bewusstseins für das zeitgemäße Verständnis von Behinderung im Sinne der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen. Menschen mit Behinderung sind demnach Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs-
und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Grundlage dieses Verständnisses ist das bio-psycho-soziale Modell, auf dem auch die internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit und Gesundheit (ICF) basiert.

Wesentliche Folgen für die Begleitung sind die Trennung der Leistungen in:
• Eingliederungshilfe (einfache und qualifizierte Assistenz zur Förderung von Selbstbestimmung und Eigenständigkeit bei Aktivität und Teilhabe
• Leistungen zur Pflege (vorwiegend stellvertretende Leistungen)
• Leistungen zum Lebensunterhalt (Wohnkosten, Sachkosten usw.)

Darüber hinaus besteht das Bedarfsermittlungsinstrument für das Land NRW (BEI_NRW) als Instrument zur Beantragung von Eingliederungshilfe.
Das Ende der pauschalen Leistungstypen soll zudem einen noch mehr an den individuellen Bedarfen ausgerichteten Umfang der Hilfen ermöglichen.

 

Empowerment

Mit Empowerment werden Strategien und Maßnahmen bezeichnet, die Menschen befähigen oder ermächtigen, ihr Leben (wieder) selbstbestimmter und autonomer zu gestalten und zu leben – mit dem Ziel, ihre Belange eigenmächtig, selbstverantwortet und selbstbestimmt zu vertreten. Vorrangig geht es darum, Stärke und Durchsetzungskraft (Selbstbefähigung) zu gewinnen mit Einfluss auf die erlebte Selbstwirksamkeit und politische Einflussnahme im direkten und indirekten Wirkungsfeld. Es sollte das Ziel sein, den Betroffenen zum Experten in eigener Sache werden zu lassen und im besten Fall die Hilfen so zu gestalten, dass sie sich schrittweise selbst überflüssig machen. (Vgl. dazu: Georg Theunissen).

 

Erhöhter sozialer Integrationsbedarf

Der Landschaftsverband Rheinland als Kostenträger der Eingliederungshilfe nach SGB XII sieht für seine Kunden – die Menschen, die sich uns anvertrauen – einen höheren Leistungssatz vor, wenn ein besonders ausgeprägter Hilfebedarf vorliegt.
Beispielsweise bei:
•    fehlender oder gering ausgeprägter Integrationsfähigkeit
•    selbst- und fremdaggressivem Verhalten
•    ausgeprägten Rückzugstendenzen
•    Verstimmungszuständen
•    auf Ablehnung stoßenden Verhaltensweisen und der Komplexität verschiedener Beeinträchtigungen.

Der erhöhte Hilfebedarf besteht dauerhaft und umfassend und geht einher
mit einem durchgängig hohen Aufsichtsbedarf

 

Ganzheitliche Perspektive

Wir versuchen stets den Menschen und sein individuelles Umfeld zu betrachten und den Fokus auf die Person und all ihre Facetten zu weiten.

Die ganzheitliche Perspektive betrachtet:
•    die Geschichte und Erfahrungen
•    das familiäre Umfeld
•    die Komplexität der Lebensumstände
•    die Wünsche und Ängste aus unterschiedlichen Blickwinkeln

So wird zum Beispiel das individuelle Lernen nicht nur verstanden als kognitive Auseinandersetzung mit einem Thema oder Material, sondern bezieht alle Sinne mit
ein und berücksichtigt neben dem Verstand auch das Emotionale und Körperliche eines Lernprozesses.

 

Helfersystem

Der Begriff Helfersystem meint alle mit einer Klientin oder einem Klienten befassten Unterstützer und deren Vernetzung untereinander. Diese Gruppe ist im besten Fall multiprofessionell und hochgradig vernetzt, sodass Sichtweisen, Fragestellungen und Methoden aus verschiedenen Fachrichtungen in einen gemeinsamen Diskurs eingebracht werden und zu einem gemeinsamen Handlungskonzept bzw. Hilfsangebot führen.

 

Herausforderndes Verhalten

Verhaltensweisen wie Schreien, Jammern, Weinen, Verweigerung, Passivität, Rückzug, Werfen und Zerstören von Gegenständen, Schlagen und Selbstverletzungen werden häufig als unangemessen bewertet.
Werden diese Handlungen jedoch auch funktional und kontextbezogen betrachtet – das bedeutet, sowohl unterschiedliche äußere Ursachen als auch subjektive Funktionen berücksichtigt – können sowohl der Sinn des herausfordernden Verhaltens als auch Lösungsansätze erschlossen werden. Beispielsweise können oben genannte Handlungen auch als Form oder Versuch zur Kommunikation genutzt werden, an den Stellen, wo verbale Alternativen nicht ausreichend verfügbar sind. Dadurch, dass sich neue Kanäle zur Verständigung erschließen, kann das herausfordernde Verhalten überflüssig werden. Somit
muss die Betrachtung einen subjektiven Sinn für das Verhalten miteinschließen, wie z. B. Suche nach Kontakt, Ausgleich, Stressreduktion, Kommunikation, Frustbewältigung uvm.

Darüber hinaus stellen sich folgende Fragen:
• Durch welche Situation oder Umweltbedingung wurde das Verhalten ausgelöst?
• In welchem sozialen Kontext (Umfeld, Zusammenhang usw.) wird ein Verhalten gezeigt?
• Wann wird eine Handlung als abweichend bzw. herausfordernd definiert?
• Kann das gleiche Verhalten in einem anderen sozialen Rahmen als normal oder angemessen betrachtet werden?

Zusammenfassend lässt sich sagen:
Herausforderndes Verhalten wird verstanden als Ausdruck eines gestörten Verhältnisses
zwischen Individuum und Umwelt und als Bezeichnung für Bewältigungsversuche, die von außen als auffällig bewertet werden (vgl. dazu: Georg Theunissen).

 

Hilfeplanung/Bedarfsermittlung

Der Hilfeplan (BEI_NRW: Bedarfsermittlungsinstrument für das Land NRW) dient der Kostenklärung mit allen beteiligten Kostenträgern, wie z. B. Landschaftsverband Rheinland (LVR) oder Kranken- und Pflegekassen. Die Erstellung der Hilfeplanung erfolgt in Zusammenarbeit des Leistungsempfängers, seiner Bezugsperson und des Fallmanagers. Die Befragung des Betroffenen zu seinen Wünschen und der eigenen Einschätzung seiner Lebenslage, seiner Ressourcen und seines Hilfebedarfs soll nicht nur die Klientin oder den Klienten zu Wort kommen lassen, sondern auch Gelegenheit zur Selbstreflexion und Lebensplanung bieten. Gleichzeitig werden die professionellen Begleiter gefordert, die Klientin oder den Klienten und ihre bzw. seine Lebenswirklichkeit aus fachlicher Sicht (neu) zu beschreiben und zu reflektieren, um daraus den Hilfebedarf abzuleiten. Darüber hinaus werden alle beteiligten Personen verpflichtet, das eigene Handeln zu prüfen und gegebenenfalls neu auszurichten sowie vergangene Ziele
und Maßnahmen zu beurteilen und neu zu verhandeln. Des Weiteren gilt es, den Blick auch auf Umweltfaktoren, also günstige Bedingungen, aber auch auf Barrieren und Hemmnisse zu lenken und Hilfen in dieser Richtung anzusetzen:

  • Einstellungen, Beziehungen und die technische Ausstattung usw. können Aktivität und Teilhabe erleichtern.
  • Barrieren, fehlende Hilfsmittel oder Ausgrenzung können dies erschweren.

Die Maßnahmen, die benötigt werden, um die Ziele der Klientin oder des Klienten zu erreichen, werden gemeinsam mit der bzw. dem Betroffenen abgestimmt, im besten Fall sogar durch sie oder ihn vorgegeben.
Dabei spielen Eigenverantwortung, Ressourcen und eine Abgrenzung der Zuständigkeiten eine wichtige Rolle, ebenso aber auch der Förderungs- und Hilfebedarf.
Wenn die bzw. der Betroffene sich nicht äußern kann bzw. sich nur unklar äußert, müssen ihre bzw. seine Wünsche auf anderem Wege erhoben werden, z. B. aus der Beobachtung seiner Aktionen und Reaktionen oder aus einer Perspektivenübernahme.
(Siehe auch Abschnitt: „Anforderungen an professionelle Kommunikation“ oder „Refinanzierung“)

 

Inklusion

Integration und Inklusion werden oft gleichgesetzt. Das ist jedoch nicht richtig. Inklusion geht weiter als Integration. Integration funktioniert nur mit Anpassung an die bestehenden Verhältnisse, bei der Inklusion wirkt jeder gemäß seinen Möglichkeiten an den Verhältnissen mit. Wie so häufig steht die Änderung der Haltung im Vordergrund. Die Anerkennung und Wertschätzung von Unterschiedlichkeit (Diversity) ersetzt oder besser gesagt überwindet die Einordnung, Unterscheidung oder Trennung von Menschen in verschiedene Gruppen. Dieses Konzept sprengt wegen seiner Allgemeingültigkeit deutlich den Rahmen der
Sonderpädagogik. Inklusion braucht Teilhabe, den Abbau von Barrieren und gut gerüstete Wegbereiter aus den unterschiedlichsten professionellen Feldern. Eine inklusive Gesellschaft ist geprägt von der Suche nach Gemeinsamkeiten, Ressourcenorientierung und der Unterstützung von Vielfalt. Somit käme sie bei Verwirklichung allen Menschen zugute, im Besonderen allen Menschen, die aufgrund ihrer empfundenen Andersartigkeit von gesellschaftlicher Randständigkeit bedroht wären.

 

Leichte Sprache

Unsere Sprache ist voll von Fremd- und Fachwörtern, die etwa für Menschen mit Beeinträchtigung, mit Demenz oder Menschen, deren Muttersprache nicht deutsch ist, schwer zu lesen und zu verstehen sind. Sowohl bei der Gestaltung von barrierefreiem Informationsmaterial als auch im Gesprächskontakt mit den Menschen, die sich uns anvertrauen,  und mit Angehörigen helfen die Regeln der Leichten Sprache dabei, die Hürden zu senken und somit Verständigung und Teilhabe zu erleichtern. Diese Regeln beziehen sich zum Beispiel auf die Wortwahl sowie auf Satzbau und -länge, aber auch auf die Schriftgröße oder den Einsatz von Symbolen. (Näheres hierzu findest du im Intranet der Behindertenhilfe unter „Leichte Sprache“).

Medizinisches Zentrum für Erwachsene mit Behinderung (MZEB)

Die medizinische Versorgung von Menschen mit Behinderung stellt besondere Anforderungen an die behandelnden Ärztinnen und Ärzte. Vielfach stellen räumliche Begebenheiten Barrieren dar, die den Zugang zu Untersuchungen und Behandlungen erschweren. Aber auch Wartezeiten, eine unruhige Atmosphäre, Zeitdruck während der Behandlung, komplizierte Sprache oder Barrieren in der Kommunikation sowie notwendige Wechsel zwischen Facharztpraxen können Barrieren sein.

Das MZEB am Johanna Etienne Krankenhaus in Neuss gehört zu unserer St. Augustinus Gruppe und bietet eine ganzheitliche und spezialisierte medizinische Versorgung:
•    umfassende Anamnese
•    zielgerichtete Diagnostik
•    individuelle Beratung
•    sozialmedizinische Beratung
•    Beratung zu Heil- und Hilfsmitteln.

 

 

Normalisierungsprinzip

Im Kern wird die Forderung erhoben, allen Menschen mit Beeinträchtigung oder Assistenzbedarf normale Lebensumstände zu ermöglichen.
•    normaler Tagesrhythmus
•    Trennung von Arbeit-Freizeit-Wohnen
•    normaler Jahresrhythmus
•    normale Erfahrungen im Ablauf des Lebenszyklus
•    normaler Respekt vor dem Individuum und dessen Recht auf Selbstbestimmung
•    normale sexuelle Lebensmuster (wie sie in der umgebenden Kultur vorherrschen)
•    normale ökonomische Lebensmuster und Rechte im Rahmen der gesellschaftlichen Gegebenheiten
•    normale Umweltmuster und -standards innerhalb der Gemeinschaft (vgl. dazu: Bengt Nirje, Walter Thimm u. a.).

 

Systemische Sichtweise

Eine systemische Sichtweise begreift jede Person als Mitglied sozialer Systeme. Das Interesse gilt den wechselseitigen Handlungen bzw. Kontakten und Beziehungen sowie den dadurch erzeugten Strukturen. Die Betrachtung von Problemen zielt nicht auf eine Verursacherin oder einen Verursacher ab, sondern versteht diese als Ergebnis unbrauchbarer Interaktionsmuster, Kommunikationsprozesse und Bewertungen. Eine systemische Sichtweise fragt nach Faktoren, die dazu führen, dass ein Problemverhalten aufrechterhalten wird und versucht zu einer Umdeutung oder Neubewertung anzuregen und durch alternative Standpunkte und Sichtweisen zu einem anderen Ergebnis zu führen.

 

 

Teilhabe: Teilnahme und Teilgabe

Teilhabe setzt sich zusammen aus den Bestandteilen

1.    Teilnahme – die Chance, bei den für die Person wichtigen gesellschaftlichen Prozessen dabei zu sein
2.    Teilgabe – die Chance der Mitwirkung

Wichtiger Indikator für gelungene Teilhabe ist also das Gefühl einer Wirkung (Selbstwirksamkeit), die der Mensch mit Beeinträchtigung bzw. Assistenzbedarf in seinen gesellschaftlichen Kontakten empfindet. Teilhabe ist ein wichtiger Bestandteil unseres Auftrags zur Eingliederungshilfe (SGBIX).

Zum Weiterlesen und Diskutieren eignen sich darüber hinaus die Themen:

• UN-Behindertenrechtskonvention –  Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, 13. Dezember 2006
• Bundesteilhabegesetz (BTHG) 1. Dezember 2016, 4 Reformstufen bis 2023
• Wohn- und Teilhabegesetz (WTG), 2. Oktober 2014
• Erlernte Hilflosigkeit (Seligman, später auch: Theunissen)
• Prinzipien einer klientenzentrierten Gesprächsführung (Rogers)
• Mehrdimensionale Kommunikationsmodelle (Watzlawick, Schulz von Thun)
• Selbstwirksamkeitsüberzeugung (Bandura u.a.)